Bücherbusse

(aus: Alfred Pfoser, Die Wiener Städtischen Büchereien. Zur Bibliothekskultur in Österreich, S. 141 ff)
Seit 1958 gibt es im Wiener Raum auch die Einrichtung des Bücherbusses. Das damals in Betrieb genommene Fahrzeug, als 14 Meter langer Sattelaufleger konstruiert, wurde von der Firma Perl-Auhof in einer Sonderanfertigung hergestellt und erregte damals als erste Fahrbücherei Österreichs Aufsehen. Das Gefährt war zwanzig Jahre (bis zum Frühjahr 1978) in Betrieb.
Ursprünglich bestand die Absicht, entlang der gesamten Peripherie Wiens einen Ring von Bücherbus-Haltestellen zu legen (Wilhelm Meissel, der Initiator und langjährige Leiter des Bücherbusses: "Ganz Wien umfangen"), also allen Bewohnern der nicht so dicht besiedelten Randgebiete eine bibliothekarische Versorgung zu bieten; in der Realität war die Tätigkeit des Bücherbusses auf die Wiener Gemeindebezirke nördlich der Donau beschränkt. Dort wuchs die Stadt besonders stark; neue, große Siedlungen entstanden. Oft fungierte eine Bücherbus-Haltestelle als Übergangslösung, bis eine standortgebundene Zweigstelle entstand. Schlangen von Lesern waren keine Seltenheit; in manchen Fällen mußte ein interessiertes, lesewilliges Publikum sogar abgewiesen werden. Dafür war sicherlich verantwortlich, daß auch der Bücherbus, wie damals üblich, nicht als Freihandbücherei, sondern als Thekenbücherei dimensioniert war. Größte Schwierigkeiten bereitete auch das Faktum, daß die zentrale Ergänzungsbibliothek für den Bücherbus, in der Schmidgasse im engen 8. Gemeindebezirk gelegen, wegen der monströsen Maße des Fahrzeuges nur mit Verkehrsbehinderungen anzusteuern war. Schwere Arbeitsplatzmängel für die Bücherbus-Mannschaft entstanden auch durch die unzureichende Heizbarkeit des Busses im Winter bzw. die schlechte Klimaanlage im Sommer.
Ein eigenes, leidvolles Kapitel ist die Ausfallsquote des in die Jahre gekommenen Modells. Durch den extrem langen Einsatz des ersten Busses (20 Jahre!) wurde das Fahrzeug sehr reparaturanfällig; das oftmalige Nicht-Eintreffen des Bücherbusses frustrierte die vergeblich bei der Haltestelle wartenden Leser.
1962 fanden die ersten Gespräche zum Zwecke der Installierung einer zweiten Autobusbücherei statt. 1965/66 wurde das Projekt Wirklichkeit. Der zweite Bus, vor allem für die Bezirke südlich der Donau gedacht, wurde als Freihandbücherei eingerichtet. Die beiden Busse wurden als selbständige Einheiten geführt, hatten also ihre Buchbestände, wenngleich in Kooperation, selbständig zu verwalten. Bis 1968 wurde von beiden Bücherbussen die Hauptverwaltung in der Schmidgasse als Zentraldepot angefahren, erst dann konnte die Übersiedlung in die Richthausenstraße, wo sich der Fuhrpark der MA 48 befand, vonstatten gehen. Damit war das Büchereidepot in unmittelbarer Nähe der auch dort garagierten Bücherbusse. Diese Zusammenführung hatte zweifellos viele Vorteile, doch war die Arbeitssituation im Depot (finster, kalt, mangelnde Fußbodenisolierung, WC nur über den Hof erreichbar etc.) katastrophal.
Das Buspersonal war und ist - verglichen mit standortgebundenen Büchereien - erschwerten klimatischen und sanitären Bedingungen ausgesetzt. Der Einsatz auf den Bücherbussen galt - im spöttischen Bibliothekarsjargon -lange Zeit als Fahrt in den "ersten Kreis der Hölle" (nach dem Titel von Solschenizyns damals erschienenen Roman). Das Bücherbuspersonal war bei den Haltestellen in den neuen Siedlungen (mehr als 400 Tagesentlehnungen pro Ausgabestelle in der Kürschnergasse, Siebenbürgenstraße) oft restlos überfordert. Nach langen gewerkschaftlichen Verhandlungen wurden Anfang der 80er Jahre Erschwerniszulagen für die Bücherbus-Bibliothekare bewilligt, so daß diese Posten heute vor allem jüngeren BibliothekarInnen relativ attraktiv erscheinen.
Aus Kostengründen wurde ein gebrauchtes Fahrzeug, das bei der Wiener Gartenausstellung (WIG) 1964 eingesetzt war und dann die Städtischen Verkehrsbetriebe übernommen hatten, als Ersatz für den ersten Bücherbus erworben. Bücherbus- Bibliothekare machten immer wieder vergebliche Vorstöße, ein drittes Fahrzeug zu bekommen. Im Jahr 1980 wurde eine "Schulgruppe" bei den Busbüchereien installiert, die sowohl mit eigenen neuen Kinder- und Jugendbuchbeständen als auch mit dem Bestand der vorhandenen anderen Autobusbüchereien arbeiten konnte. Die "Schulgruppe" betreut seither an den Vormittagen Volks- und Hauptschulen in den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt.
Im Spätsommer 1980 vollzog sich die Übersiedlung der Depots und der Arbeitsräume in neue Räumlichkeiten im Donaupark im 22. Bezirk. Damit erfolgte die Garagierung der Busse wieder getrennt vom Bücherei-Standort. Nach einer hohen Ausfallsquote des zweiten Bücherbusses (Baujahr 1964) wurde endlich ein neu es Fahrzeug in Auftrag gegeben, das bei kleinerem Außen umfang und daher höherer Wendigkeit im Stadtverkehr (kein Gelenksbus mehr) mehr Bücher und andere Medien als zuvor anbieten konnte sowie eine Toilette und einen Eiskasten vorsah. 1984 wurde das neue, von der Firma ÖAFGräf und Stift entwickelte Fahrzeug in Betrieb genommen. Hinzu kam dann 1991 ein neuer Bus in gleicher Bauart.
Für Aufregungen und Probleme war auch weiterhin gesorgt: Im Herbst 1989 wurden den Bücherbussen wegen Umbauarbeiten die bisherigen Abstellplätze in Hernals gekündigt. Neue Abstellplätze fanden sich an Wiens südlicher Stadtgrenze, direkt neben der Abfahrt von der Südautobahn. Kaum war das Problem bewältigt, kam das nächste: Im Zuge der Bauarbeiten für die EXPO, später für das projektierte Bürozentrum, mußte das Bücherbus-Depot abgerissen werden. Bis zur Fertigstellung eines neuen Bücherbus-Stützpunktes in Kagran sollte das Depot in ein Gebäude des nahegelegenen Austria-Center übersiedeln; aber auch dieser Plan ging schief, denn die in Aussicht genommenen Räume wurden ebenfalls in die Bauarbeiten rund um die EXPO einbezogen. Nach dem Abriß des alten Bücherbus-Depots übersiedelte man im Dezember 1990 schließlich in das Austria-Center, später in den Zollfreihafen. Durch die Absage der EXPO schien das Projekt eines Bücherbus-Stützpunktes wieder in die Ferne zu rücken; mit der Unterbringung in der Tribünenverbauung des Wiener Stadions (Fertigstellung 1993) werden die Übersiedlungen ein Ende haben.
Die Geschichte der Bücherbusse ist eine Geschichte der permanenten Zwischenlösungen. Statt eine Gesamtlösung anzupeilen, konnte nur defensiv gehandelt werden. Ein Provisorium löste das andere ab.
Derzeit betreuen die beiden Bücherbusse Gebiete mit geringer Besiedlungsdichte am Rand von Wien. Sie haben ihre Haltestellen dort, wo eine normale Bücherei mangels Leser unrentabel wäre, aber doch eine spürbare Nachfrage herrscht. Was besonders auffällt, ist der hohe Kinderanteil an den Lesern. Bücherbus I betreut 14 Haltestellen diesseits der Donau, von Kaiser-Ebersdorf bis Glanzing. Bücherbus II betreut 13 Haltestellen im 21. und 22. Bezirk, von der Schwarzlackenau bis Eßling. Vormittags übernimmt abwechselnd ein Bus die Rolle des Schulbusses und betreut Schulen im 21. und 22. Bezirk.
Die permanenten Provisorien und Übersiedlungen beeinträchtigten und strapazierten natürlich auch den Umgang mit dem Leserpublikum. In manchen Perioden war eine regelmäßige Bedienung der einzelnen Stationen nicht möglich. In den Statistiken schlägt sich dies im Rückgang der Leser nieder. Es ist schwer zu beurteilen, ob nicht auch die gestiegene Mobilität und die Verbesserung der Transportsysteme dem Wirken der Bücherbusse zusetzen und ihnen eine ähnliche Krise bescheren wie den kleinen Siedlungsbüchereien.