Tangojünglinge

aus: Jan Kurz: "Swinging Democracy" Jugendprotest im 3. Reich. S 31 ff

3.1.3. Tangojünglinge

Als letzte Gruppe von Jugendlichen, deren Geschichte noch in die Weimarer Republik reicht, bleiben noch die sogenannten „Tangojünglinge", eine Bezeichnung, die sehr wahrscheinlich ihre Umwelt prägte und über deren Existenz nur sehr spärliche Quellen vorliegen. „Tangojünglinge", man darf sie nicht mit den späteren Swing-Jugendlichen verwechseln, waren eine Gruppe reiner Konsumenten, denen die Musik weniger bedeutete als das Leben, welches sich um die Musik herum abspielte. Die Zeit in Bars und Nachtclubs, Kleidung sowie ein betont lässiges Auftreten kennzeichneten sie mehr als eine gelebte Sympathie für die in den Nachtclubs gespielte Jazzmusik.

Die nötigen Accessoires und den Stil der Kleidung entlehnte man von den erwachsenen Vorbildern in den Nachtclubs, den eleganten Herren der dreißiger Jahre, die man so gern kopierte: „Damals trug ich Lackschuhe und weißen Kragen schon am Vormittag. Das lange, pomadige Haar lag mir glatt am Kopf, in der Mitte gescheitelt. Dazu übte ich einen müden Blick aus halbgeschlossenen Augen, so als lohne es sich nicht, in den Tag zu sehen." Die Assoziation zu dem von Joseph Roth beschriebenen und im ersten Kapitel bereits eingeführten Typs des „Genießers in männlicher Kleidung" wird noch deutlicher in der Beschreibung des Tanzverhaltens der „Tangojünglinge", die ihrem Namen keine Ehre machten.

„In einem Tanzclub saßen wir zusammen, rauchten viel und tanzten wenig. Doch dann bevorzugten wir Slowfox und English-Waltz. Tango war schon zu rustikal - so dekadent waren wir... Wenn ich mich gelegentlich bequemte, eine der jungen Damen aufzufordern, legte ich etwas in meinen Blick, als würde ich für den Tanz bezahlt. Bei langgezogenen Schritten blickte ich über die Schulter der Dame irgendwohin ins Nichts."

Selbstinszenierung und eine eminente Faszination für die Halbwelt der großstädtischen nächtlichen Vergnügungsindustrie bis hin zu den kriminellen Geschehnissen um die Nachtlokale scheinen kennzeichnend gewesen zu sein für die „Tangojünglinge". „Ich spielte den jungen Mann mit Geld... und ich spielte den Turniertänzer, der niemals tanzte... Wir liebten die dezenten Rhythmen mehr als den Gesang." Die verhältnismäßige Nähe dieses Lebens in und um die Nachtclubs und auf der Straße mit anderen kriminellen oder deliquenten Subkulturen kann erklären, warum der Begriff „Tangojünglinge" allge­mein negativ konotiert wurde und später in den Akten der Gestapo wiederauftauchen sollte.

In dem weithin bekannten Bericht der Reichsjugendführung über „Cliquen- und Bandenbildung unter Jugendlichen" vom September 1942 werden im Anhang „Einzelbeispiele für die Cliquen- und Bandenbildung neuerer Zeit" aufgelistet. Die Abteilung 2, „Gegnergruppen", enthält einen kurzen Bericht über die Hamburger „Bismarckbande", deren Konstituierung aus Kreisen der „Hamburger Tangojünglinge und Nichtorganisierten" erfolgt sei.

Angeblich vertritt diese Bande den Wahlspruch 'Hamburg bleibt rot!' Die Angehörigen dieser Bande haben planmäßig Überfälle auf Hitler-Jugend-Angehörige ausgeführt, wenn diese bei Dunkelheit vom Dienst nach Hause gehen. Die Überfälle waren zahlreich und hatten teilweise schwere Folgen. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen und erstrecken sich bis nach Schwerin und Stralsund.

Ob die „Bismarckbande" sich tatsächlich aus Kreisen der beschriebenen „Tangojünglinge" rekrutierte, mag stark bezweifelt werden. Festzuhalten bleibt aber, daß das Phänomen dieser Jugendmode verbreitet war - es muß im Bericht nicht erklärt wer­den, was die „Tangojünglinge" sind - und daß die Assoziation von „Tangojünglingen" gleich Kriminellen für den Staat möglich war.

Prinzipielle Kenntnis vom Äußeren der „Tangojünglinge" mußte auch der „Gebietsinspekteur des HJ-Streifendienstes" aus Hamburg haben, denn er verfaßte einen Bericht über eine Zivilstreife im Kaiserhof in Altona, wo sich mehrere hundert Swinger trafen. Über das Aussehen der Swinger steht zu lesen: „Der äußerliche Eindruck, den sämtliche anwesenden männlichen Personen machten, war denkbar schlecht. Es waren ausschließlich vollendete Tangoboys' mit dem berüchtigten langen Haarschnitt." Dem Verhalten auf dem Fest und den weiteren Beschreibungen nach zu urteilen, hatten diese Jugendlichen aber bis auf die Länge der Haare - sie trugen Seiten- und nicht Mittelscheitel, wie noch die „Tangojünglinge", das Haar fiel locker und wurde nicht fest an den Kopf geklebt - nichts mehr gemeinsam mit ihren tanzscheuen Vorgängern aus der „Systemzeit" und der ersten Phase des Dritten Reichs. Die Verwechslung der frühenSwinger mit ihren Vorgängern, den „Tangojünglingen"", gehört auch in den Erinnerungen anderer Zeitzeugen zur Normalität.

Quelle: http://magazinbestand.googlepages.com/tangojuenglinge